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Dienstag, 5. Januar 2016

Literatur und Architektur - Teil 2: Max Frisch - Das Letzibad in Zürich (1942 - 49)



Im Werk des Schweizer Schriftstellers Max Frisch ist die Frage nach der eigenen Identität eines der zentralen Themen. In "Homo faber", Frischs bekanntestem Roman (1957), geht es darum, wie das gesamte sorgsam konstruierte Weltbild eines Ingenieurs in wenigen Wochen auseinanderfällt. Durch eine schicksalhafte Verkettung von Ereignissen und Begegnungen stellt die Titelfigur Walter Faber sein bisheriges Leben in Frage und ist gezwungen, sich selbst ganz neu zu definieren. Bereits einige Jahre zuvor hatte Max Frisch in "Stiller" beschrieben, wie der Protagonist hartnäckig behauptet, eine ganz andere Person zu sein, obwohl ihn sein gesamtes Umfeld als den Stiller identifizieren kann, den es seit Jahren kennt. In "Mein Name sei Gantenbein" aus dem Jahr 1964 erfindet sich die Hauptperson schließlich immer wieder neue Identitäten, die er der Reihe nach anprobiert "wie Kleider". Das Material, mit dem Max Frisch all diese verschiedenen Persönlichkeiten erschafft, ist eine Sprache die zwischen sachlich-nüchtern und plastisch-opulent jede Nuance abdeckt. 

Mit dem ehemaligen Bademeister des Letzibades und jetzigen Leiter des dortigen Kunstvereins, Pierre Geering, auf der Betontreppe von Max Frischs Pavillon (Foto: Jürgen Grölle)
















Max Frisch als Architekt
Max Frisch selbst konnte sich über eine lange Zeit hinweg hinweg nicht entscheiden, ob er sich als Schriftsteller oder als Architekt definieren sollte. Als im Jahr 1949 in Zürich das Letzibad eröffnet wurde, das nach seinen Entwürfen gebaut worden war, hatte er bereits verschiedene Versionen seiner selbst ausprobiert. Enttäuscht von seinem abgebrochenen Germanistikstudium, hatte er sein Geld zunächst als Journalist verdient und war dann dem Vorbild seines Vaters gefolgt, um Architektur zu studieren. Im Jahr 1943 gewann er schließlich im Alter von zweiunddreißig Jahren den Wettbewerb für den Entwurf des Letzibades. Während der kriegsbedingt langen Bauzeit der Badeanlage folgte Max Frisch jedoch schon wieder seiner Doppelexistenz und schrieb mehrere Theaterstücke. Er erlebte somit gleichzeitig den Bau seines Bades und die Aufführung seiner Stücke in Zürich. Mit dem Fahrrad fuhr er zwischen Theater und Strandbad hin und her (Link) und war beeindruckt von der Umsetzung seine Ideen sowohl durch Schauspieler als auch durch Bauarbeiter. Im Verhältnis  zwischen dem Schreiben und dem Entwerfen von Gebäuden sah er nicht so sehr eine Spannung zwischen Theorie und Praxis, sondern war eher fasziniert von den verschiedenen Arten reflektierten Tuns. Insgesamt verfolgte er diese Form von Doppelexistenz über zwanzig Jahre hinweg.


In seiner Erzählung "Montauk" aus dem Jahr 1975 blickt Max Frisch auf seine Tätigkeit als Architekt zurück und erwähnt dabei neben dem Entwurf für das Haus seines Bruders auch die Entstehung des Letzibades. Er beschreibt, wie er sich als junger Architekt zum ersten Mal das Gefühl hatte, zur „Mehrheit“ zu gehören, sich als Fachmann fühlte, wenn er den Rechenschieber benutze und dennoch beim Bau des Hauses für seinen Bruder manchmal der Meinung war, nur so zu tun, als würde er messen. Erst beim Bau des Letzibades galubte er, durch die Schauspieler im Theater und die Arbeiter auf der Baustelle "Hände zu haben", er sah „Verkörperlichung dort wie hier.“





Die Architektur des Letzibades
Die Architektur des Letzibades besteht weniger aus massiven Volumina, als vielmehr aus Flächen und deren Begrenzungen. Die verschiedenen Bauten sind allesamt am Rand des Grundstücks aufgereiht und bieten so einen weiten Raum für die Wasser- und Liegeflächen und für die großzügige Parkanlage. Somit stehen nicht die Gebäuden des Letzibades im Zentrum, sondern vor allem die Elemente Licht, Luft und Wasser. In Pierre Geerings Buch über das Letzibad aus dem Jahr 2007 ist sogar die Rede von einer "Architektur des Randes". Einen Gegensatz zu den Flachdächern der Garderobengebäude und den weiten Wasser- und Liegeflächen der bilden die aufragenden Formen des zweistöckigen Pavillons mit seiner geschwungenen Treppe und des markanten Sprungturms.






Durch die Eingemeindung verschiedener Vororte war Zürich in den Dreißigerjahren gewachsen und die sozialdemokratische Stadtregierung verfolgte ein wichtiges gesundheitspolitisches Ziel: öffentliche Freibäder in den Außenquartieren. Das Dolderbad aus dem Jahr 1934, das Max Frisch in einem Aufsatz aus dieser Zeit mit Worten wie "goldenes Flimmern", "silbernes Glitzern", "durchsichtiges Leuchten" beschrieben hatte, gilt in seiner Modernität als Vorbild für das Leitzibad. Die dort umgesetzte Idee, eine gesamte Landschaft innerhalb des Bades anzulegen, floss auch in den Entwurf des Letzibades mit ein, denn mit Gustav Ammann hatte man Max Frisch den Landschaftsarchiteken des Dolder Bades zur Seite gestellt. Dabei entfernte man sich von den traditionellen Flussbädern und auch von der Idee, dass sich der Badegast in einer künstlichen Kulisse aufhält.


Der Sprungturm
Der zehn Meter hohe Sprungturm, der in Max Frischs architektonischem Schaffen das bekannteste Bauwerk darstellt, entstand tatsächlich auf besonderen Wunsch der Fachkommission Schwimmen hin, die sich im September 1943 beschwert hatte, dass es in ganz Zürich keine Schwimmsportanlage und keinen Sprungturm gab. Die ursprüngliche Planung eines Familienbades wurde darufhin auf ein Sportbad hin erweitert. Der Sprungturm, die Becken und die geschwungene Treppe des Pavillons wurden aus Beton gefertigt, alle weiteren Gebäude bestehen vorwiegend aus Holz. Das liegt einerseits in der Materialknappheit während des Zweiten Weltkriegs begründet, anderersets bezog sich Max Frisch mit seinen filigranen, licht- und luftdurchlässigen Gebäuden auf traditionelle Badearchitektur.

Architektur, Moderne, Zürich, Beton, Max Frisch

Die Gartenarchitektur von Gustav Ammann
Betritt man nun die Badeanlage, passiert man zunächst einen Brunnen und folgt der Hauptachse, die auf beiden Seiten von flachen Garderobengebäuden gesäumt ist, die Platz für 4000 Besucher bieten. Nach der strengen Gliederung des Eingangs folgt dann ein weiter Blick in die Landschaft der Parkanlage. Mit Gustav Ammann stand Max Frisch ein erfahrener Gartenarchitekt zur Seite, der den jungen Architekten beim Anlegen der Wege und Plätze fundiert beraten konnte. Frisch und Amman gelang es, ein Bad zu entwerfen, dem man in seinen filigranen, eleganten Formen nicht ansah, dass es für 4200 Besucher pro Tag angelegt worden war. So wie Frisch mit seiner Garderoben-Allee der Idee des Seriellen folgte, den Gebäuden jedoch einen eleganten Rhytmus verlieh, so gelang es Amman durch eine ausgeklügelte Bepflanzung einerseits eine wirkliche Landschaft zu erschaffen und andererseits den Badebetrieb für tausende von Besuchern am Tag funktional zu regeln. Beiden Architekten ging es um eine gewisse Großzügigkeit, um Licht, um Freiheit. Das Bad sollte nicht nur leibliche Erholung bieten, sondern auch geistige sowie das "aus der Serie treten".



Nachdem man die strenge Achse der Garderoben-Allee verlassen hat, befindet man sich inmitten einer Landschaft aus geschwungenen Wegen, Stauden, schattenspendenden Bäumen, einem zweistöckigen, achteckigen Pavillon und natürlich den Schwimmbecken. Laut Ammann überlässt sich der Badegast der Blickregie der geschwungenen Wege, wodurch alle allzu zweckgebundenen Gedanken verfliegen. Ammans zentrales Gestaltungsmittel ist eine differenzierte Bepflanzung, er verwendet Sandsteinmäuerchen und Trittplatten, gliedert so den Außenraum und definiert subtil die verschiedenen Ränder. Wie in Max Frischs Architektur herrscht in der Landschaftsgestaltung Gustav Ammanns eine verspielte Leichtigkeit.




Obwohl Max Frisch bereits 1942 den Wettbewerb um den Entwurf des Bades gewonnen hatte, fand durch den Zweiten Weltkrieg und der damit verbundenen Materialengpässe der eigentliche Baubeginn erst 1947 statt. 1949 wurde das Bad schließlich eröffnet. Max Frisch staunt selbst, wie das, was er entworfen hatte, schließlich greifbare Realität wurde.

Der Kunstverein
Der Künstler und Ethnologe Pierre Geering arbeitete von 1981 bis 2011 im Letzibad als Bademeister. Als er zufällig Originalpläne und Bildmaterial des Bades fand und sich daraufhin intensiver mit dessen Entstehungsgeschichte auseinandersetzte, fasste er den Entschluss, dort einen Kunstverein zu gründen. Einige der  Gardenroben wandelte er in Ausstellungsräume um, für die er seitdem regelmäßig Ausstellungen konzipiert. Mit der Sanierung de Bades im Jahr 2007 wurde Geerings Kunstverein zu einer festen Einrichtung. Dabei In diesem Zusammenhang brachte er zusammen mit Ulrich Binder (Link) einen Katalog mit dem Titel „Freibad Letzigraben“ im NZZ Verlag heraus, in dem nicht nur die Entstehungsgeschichte des Letzibades nachzulesen ist, sondern auch Stammgäste des Bades zu Wort kommen, für die das Letzibad seit seiner Eröffnung wichtiger Bestandteil ihres Lebens und über Jahrzehnte hinweg ein vertrauter Anlaufpunkt darstellt. Und natürlich geht es in Geerings Buch auch um die Kunst, die Literatur und das Baden.





Besuch im Letzibad
Die mondäne und zugleich auch sachliche Atmosphäre, die Geerings Stammgäste beschreiben, empfing mich auch, als ich an einem Augustabend des vergangenen Jahres das Letzibad besuchte und Pierre Geering traf. Zusammen mit dem Galeristen Jürgen Grölle aus Wuppertal war ich damals gedanklich schon intensiv in die Ausstellung „Heimatplan“ (Link) involviert, die von der Architektur der Nachkriegsmoderne handelt, und so waren wir natürlich begeistert, von Pierre Geering kundig durch das Bad geführt zu werden. Denn wo geht es in der Literatur mehr um die Fragen der Moderne und das Verhältnis zwischen Individuum und Technik, als in Max Frischs „Homo faber“? Noch bevor ich von den Hintergründen der Landschaftsgestaltung erfuhr, fiel mir deren Besonderheit auf, dieser ganz spezielle Fünfzigerjahres-Touch der Bepflanzung, den man eigentlich nur von Farbpostkarten und aus Technicolor-Filmen kennt. Im warmen Abendlich rollten die letzten Gäste ihre Badetücher zusammen, die Liegeflächen leerten sich und Stille kehrte ein. Dass Pierre Geering als ehemaliger Bademeister ein fester Bestandteil des Letzibades ist, merkte man an der gesamten Art und Weise, wie er uns in einem weißen Sommeranzug erst durch seinen Kunstverein und dann über die Liegewiesen zum Sprungturm führte, über die großen Themen wie Kunst, Architektur und Literatur berichtetet und beiläufig einige Schwimmmeister und Badegäste grüßte. Max Frisch hätte aus dem abendlichen Besuch vermutlich eine Kurzgeschichte gemacht.